IMMOBILIEN ZEITUNG | 07.10.2021

Eine Bilanz, die keiner kennt

 

In einer Gemeinwohl-Bilanz können Unternehmen darlegen, was sie für die Gesellschaft leisten. In der Immobilienbranche geht das Audit unter – bislang. Die gestiegenen EU-Anforderungen könnten den Ansatz aus der Nische holen.

In ihrer Grundidee will die Gemeinwohl-Ökonomie-Bilanz  (GWÖ-Bilanz) eine Alternative zu  finanziellen  Kennzahlen  liefern  –  ein  Ansinnen,  das  auf den österreichischen Publizisten Christian Felber zurückgeht. Bislang haben sich mehr als 800 Unternehmen, Hochschulen und Gemeinden der Prozedur unterzogen; ein Beispiel ist Vaude, ein Hersteller von Outdoor-Bekleidung. Aus der Immobilienwirtschaft sind gerade einmal sieben Unternehmen aus den eher hinteren Reihen vertreten: Neben dem österreichischen Studentenheimträger OeAD Student Housing ist die Berliner Möckernkiez-Genossenschaft dabei und das Team von Fairmakler. Hinter dem verhaltenen Interesse steckt zum einen Unkenntnis – kaum einer der großen angefragten Wohnungsunternehmen, Entwickler oder Verbände weiß von der Initiative.


„Der Ansatz der Gemeinwohl-Bilanzierung war mir bislang nicht bekannt“, erklärt beispielhaft Matthias Heinrich vom Umweltberatungsinstitut Epea, einer Drees-&-Sommer-Tochter und damit einem Unternehmen, das sich intensiv mit Nachhaltigkeits- und Kreislaufwirtschafts-Thematiken auseinandersetzt. Es sei schließlich auch  nicht ganz einfach, „einen Überblick über die Vielzahl an Nachhaltigkeitssystemen zu behalten“, schiebt Heinrich hinterher: Zwischen DGNB, Leed, Breeam und Cradle-to-Cradle gehen alternative Vorstöße auch einmal unter, zumal in vielen dieser Zertifizierungen Gemeinwohl-Aspekte enthalten sind.

 „Mit der branchenspezifischen Ergänzung zum Deutschen Nachhaltigkeitskodex existiert schon ein Branchenstandard, der die Besonderheiten von sozial orientierenden Wohnungsunternehmen und die EU-Anforderungen berücksichtigt“, pflichtet der Wohnungswirtschafts-Spitzenverband GdW bei. „Insofern besteht aktuell kein Bedarf an weiteren Standards.“

Catella-Chefanalyst Thomas Beyerle kann mit dem Begriff einer GWÖ-Bilanz etwas anfangen, dank seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule Biberach. Er verweist auf den zweiten Umstand, warum das Gemeinwohl-Audit in der Branche ein Nischendasein fris- tet: „Solange es als Wohlfühlthema mit Freiwilligkeitscharakter gilt, wird es kaum jemand ernst nehmen“, sagt Beyerle. Die Initiatoren seien schlicht zu früh dran gewesen und hätten ihre Matrix zu einer Zeit aufgelegt, als das Thema Nachhaltigkeit noch belächelt wurde. Das habe sich zwar dank der auf EU-Ebene verschärften Regularien geändert, sagt der Analyst. „Noch sind die Taxonomie- Bestimmungen aber zu schwammig formuliert, als dass sie sich in konkrete finanzielle Auswirkungen für Unternehmen ummünzen ließen.“

Dass der politische und damit auch wirtschaftliche Druck zunehmen dürfte, zweifelt dabei keiner mehr an; entsprechend reagie- ren Verbände und Branchenschwergewichte mit eigenen Initiativen und selbst gesetzten Standards, an denen sie sich messen lassen wollen. Der Zentrale Immobilien Ausschuss erklärt, er habe den Ethikkodex Deutsche Wohnungswirtschaft, die Charta Zukunft Stadt und Grün und die Charta der Vielfalt „mitentwickelt und unterzeichnet“, außerdem Leitfäden erstellt. Der im MDAX notierte Wohnungskonzern LEG hat 2021 zum „Jahr der Nachhaltigkeit“ gemacht und erklärt, Gesellschaft, Mieter und Mitarbeiter, Kapitalmarkt und Regulatoren forderten „überprüfbare Nachhaltigkeit und hohe Transparenz zu nichtfinanziellen Informationen“. LEG veröffentlicht einen gesonderten nichtfinanziellen Konzernbericht, dessen Kriterien sich auf das Vergütungssystem von oberen Führungskräften auswirken sollen. Damit geht die Gesellschaft einen ähnlichen Weg wie der Platzhirsch Vonovia, der mit dem Nachhaltigkeits-Performance-Index SPI eine eigene Messlatte entwickelt hat, die neben Klimaschutz Anstrengungen im Bereich Urbanisierung und demografischer Wandel berücksichtigt, also auch Gemeinwohl-Aspekte.

Experten wie Beyerle würden es zwar begrüßen, wenn die Branchenschwergewichte als Vorreiter einheitlich vorgingen, aber insgesamt sei es so immer noch besser, als wenn sie gar nichts täten. Eine Karrierechance für die alternativen GWÖ-Bilanzierer sieht der Catella-Chefanalyst höchstens, wenn diesen die direkte Verbindung zwischen EU-Anforderungen und ihrem Angebot gelingt. Ähnlich argumentiert Sophie Kazmierczak, die sich als Sustainable Finance Managerin bei NEXT Generation Invest dem Impact Investing mit besonderem Blick auf die Immobilienwirtschaft verschrieben hat. Um speziell für die Branche interessant zu werden, müsste der Gemeinwohl-Ansatz detaillierter in seinem Bewertungsschema werden, mit Kriterien, die für den Wirtschaftszweig relevant sind, sagt sie. Grundsätzlich sei durchaus vorstellbar, dass im Zuge der gestiegenen EU-Anforderungen auch die Gemeinwohl-Bilanzierung in der Immobilienwirtschaft mehr Aufmerksamkeit erfährt. „Jedes Rahmenwerk, das einen Bezug zur EU-Taxonomie herstellen kann, wird profitieren – denn da kommt so viel auf Unternehmen zu, dass die allermeisten dankbar sein werden um Orientierung und Einordnung“, sagt Kazmierczak.

Kristina Pezzei

Die Gemeinwohl- Ökonomie-Bilanz

Die GWÖ-Bilanzierung gründet auf einer Matrix mit 20 Kenngrößen, die sich auf Lieferwege, die Beziehung zu und zwischen Mitarbeitenden, Kundenbeziehungen und gesellschaftliche Wirkungen wie eben den Beitrag zum Gemeinwesen oder die ökologischen Folgen unternehmerischen Handelns beziehen. Jedes Unternehmen kann so bis zu 1.000 Punkte erhalten – für gutes Verhalten gibt es Pluspunkte, für dem Gemeinwohl abträgliches Minuspunkte. Die Gemeinwohl-Bilanz erfüllt die EU-Berichtspflicht zu nichtfinanziellen Informationen (NFI).    Kristina Pezzei

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